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mehr als Faszination der Tradition

Seit dem Jahr 2020 freue ich mich auf die Oberammergauer Passionsspiele, die wegen der Corona Pandemie um zwei Jahre verschoben werden mussten. Vor genau 100 Jahren musste schon einmal das Spiel um zwei Jahre verschoben werden. Schuld daran waren die Spanische Grippe und der 1.Weltkrieg, der viele Darsteller und Musiker zum Opfer fielen.

Die Oberammergauer Bühne, ist ein Ort, der Zeitgeschichte erzählt, nicht zuletzt wegen seiner illustren Besucherinnen und Besucher. Zu den Gästen des 19. Jahrhunderts zählten Königinnen und Könige, Sultane, politische Prominenz aus dem In- und Ausland und natürlich aus Deutschland.

Das Interesse ist ungebrochen. Auch in diesem Jahr erwarten die Oberammergauer tausende Gäste aus Deutschland und vielen Ländern. Das große Interesse wundert mich angesichts der Tatsache, dass Religion aus dem öffentlichen Leben zusehend schwindet, Kreuze in öffentlichen Gebäuden zum Ärgernis werden und die Zahl der Kirchenaustritte aus den christlichen Kirchen schmerzt.

Was fasziniert die Menschen heute noch, sich nach fast 400 Jahren die Aufführung gemäß dem Pest-Gelübde von 1633 anzuschauen, ein „Spiel vom Leiden Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“? Warum hat es noch immer eine solche Anziehungskraft? Ist es die Faszination der Tradition? Was bedeutet die Fahrt für unsere Gruppe aus der Kirchengemeinde St. Laurentius Kleinostheim und einigen anderen Gemeinden, unter Leitung von Pfarrer Kaufmann für mich und für die anderen? Können wir an einem solchen Ort Spuren des Spirituellen und Religiösen wieder entdecken? Mit welcher Person könnte ich mich neu identifizieren?

 Als Kind erleben wir den Glauben als etwas ganz Magisches. Doch irgendwann wird die Sache mit Gott wie zu einem Kleidungsstück, aus dem man herausgewachsen ist. Zu eng und dann auf die Seite gelegt. Bietet das Passionsspiel in Oberammergau eine Annäherung?

Der Regisseur und Spielleiter Christian Stückl hat mit der Aufführung der Passionsspiele Oberammergau 2022 die Geschichte Jesu in unsere Zeit geholt. Jesus war kein Rebell, der die politischen Verhältnisse ändern wollte. Vielmehr war und bleibt er ein Vorbild, das mit großer Konsequenz durchs Leben geht und die Menschen mit religiösem Ernst auffordert, soziale Gerechtigkeit zu leben. Jesus wollte sein Volk religiös erneuern und die Botschaft der Gottes- und Nächstenliebe ins Zentrum des Lebens stellen.

Judas, der Verräter, wurde durch den Hohen Rat selbst verraten, und damit zu einem Keim des Antisemitismus. Pilatus, der römische Statthalter, lebendig tot durch das Gift der grenzenlosen Macht- und Geltungssucht. Respektlos allem nicht-Römischen gegenüber, ein Machtmensch ohne Ethik und Moral, für den nur die eigene Kultur und Geld zählen.

Die Jesuanische Botschaft lautet: hütet Euch vor Abgrenzung und Spaltung untereinander, verharrt nicht in geistiger Enge und überholten Traditionen. Lebt das Gebot der Nächstenliebe und geht zu den Menschen, die es im Leben nicht leicht haben. Versucht einen einfachen Lebensstil. Bleibt im Gebet mit Gott verbunden und setzt diesen Schatz in soziale Gerechtigkeit um.

Die Botschaft Jesu ist zeitneutral und muss doch in jeder Zeit, die Bilder und Worte finden,
die die Menschen verstehen und begeistern.
In Oberammergau ist das gelungen.

 

Angela Adler

 

 

 

 

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